Komplementäre Behandlungsmethoden

„Es hilft, durch eigenes Zutun etwas gegen die Krebserkrankung zu tun“

Von Nadine Effert · 2022

Effektive Maßnahme? Oder dubioses Angebot? Komplementärmedizinische Verfahren sind bei Krebskranken sehr gefragt. Dr. med. Steffen Wagner, Vorsitzender der Saarländischen Krebsgesellschaft e. V., zeigt, worauf zu achten ist und wie die neue S3-Leitlinie für Orientierung sorgt.

Portrait: Dr. Wagner

Dr. Wagner, welche Ziele werden mit kom-plementärmedizinischen Verfahren verfolgt?

Es geht um die Linderung von Symptomen der Krebserkrankung an sich, aber auch um die Reduktion von Nebenwirkungen einer Krebstherapie. Durch eine ganzheitliche Sicht auf die Betroffenen – inklusive psychologischer und sozialer Beratung – können sich die Gesamtsituation, das Angst- und Stressniveau und die Lebensqualität deutlich verbessern.

Wie hoch ist das Interesse bei den Patientinnen und Patienten?

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass sich bis zu 80 Prozent der Krebskranken mit komplementärmedizinischen Therapien beschäftigen und diese auch häufig
anwenden. Eine sehr große Bedeutung hat das Thema ausgewogene Ernährung, Vitamine und Spurenelemente. Einen zunehmenden Stellenwert haben körperliche Aktivität und die Traditionelle Chinesische Medizin, kurz TCM, allen voran Akupunktur. Unter den Phytotherapeutika, also Therapien pflanzlichen Ursprungs, ist die Therapie mit Mistelextrakten seit vielen Jahren sehr nachgefragt.

Stichwort Mistel: In welchen Fällen raten Sie zu dieser etablierten Zusatztherapie?

Nach Ausschluss anderer medizinischer Ursachen kann Mistel Betroffene mit Müdigkeit und Antriebslosigkeit unterstützen. Auch bei starken Nebenwirkungen während einer Krebstherapie kann sie helfen, diese besser durchzustehen.

Was bewirkt die Misteltherapie?

Viele Betroffene berichten über eine bessere Lebensqualität mit positiven Auswirkungen auf Übelkeit und Erbrechen, Appetit, Schlafqualität und positive psychische Effekte. Bei Krebserkrankungen des Blutes, zum Beispiel Leukämien, Autoimmunerkrankungen oder bestehenden Entzündungen sollte allerdings keine Mistel angewendet werden.

Im Juli 2021 wurde die erste S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer Patienten veröffentlicht. Wie bewerten Sie diese?

Die Leitlinie ist ein ganz wichtiger Schritt für die Patientenberatung. Unter streng wissenschaftlichen Gesichtspunkten wurde zusammengetragen, für welche komplementären Methoden sich Wirksamkeitsbelege finden lassen und welche möglicherweise schädlich sein können. Als Kommissionsmitglied habe ich erfahren, wie viel aufwendige Detailarbeit und Diskussionen in den Empfehlungen stecken.

Nur wenige Verfahren, so etwa körperliche Bewegung und Akupunktur, haben eine starke Empfehlung erhalten. Ist das nicht eine ernüchternde Botschaft für die Betroffenen?

Nein, keineswegs. Das sind ganz wichtige hoffnungsvolle Signale, wenn beispielsweise für ein regelmäßiges Bewegungsprogramm gegen Fatigue oder Akupunktur gegen Schmerzen so viele positive Daten vorliegen. Sicherlich gibt es zugegebenermaßen aus dem Bereich der „Erfahrungsmedizin“ auch noch andere sinnvolle Therapien, für die es allerdings keine ausreichenden Studiendaten gibt und deshalb auch keine wissenschaftliche Empfehlung. Das Gute: Auf diesem Gebiet wird aktuell viel geforscht und immer mehr publiziert.

Worauf sollten Interessierte achten?

Dass sie den behandelnden Arzt über alle „zusätzlichen“ Therapien informieren, denn es besteht immer die Gefahr von schädlichen Wechselwirkungen.

Wovon raten Sie tunlichst ab?

Bei blumigen Heilungsversprechen, meist in Kombination mit Verzicht auf Schulmedizin und hohen Kosten, ist höchste Vorsicht geboten. Studien zeigen ein sechsfach höheres Risiko, an Krebs zu versterben, wenn auf die schulmedizinische Therapie zugunsten komplementärer oder alternativmedizinischer Behandlungen verzichtet wird.

Schon gewusst?

Komplementäre Behandlungen werden in Ergänzung zu konventionellen schulmedizinischen Verfahren eingesetzt. Die sogenannte integrative Krebsmedizin kombiniert konventionelle und komplementärmedizinische Verfahren. Ist von alternativen Behandlungen die Rede, wird in der Regel auf schulmedizinische Verfahren verzichtet.

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